Was der Katholikentag geleistet hat – und was der Veränderung bedarf
Immer weniger Menschen besuchen den Katholikentag. Sofort regen sich die Stimmen, die hier ein Desaster ausmachen wollen, eine grandiose Fehleinschätzung, eine Fehlplanung oder ein Festhalten an dem, was war, nicht wiederkommt – und auch nicht mehr sein soll. Folgerichtig wird die Existenzfrage für das Traditionsformat Katholikentag auf die Agenda gehoben, kaum dass der Abschlussgottesdienst beschlossen ist. Etwas weniger Pathos, Dramatik und Schwarzmalerei tun es aber auch.
Es ist nüchtern festzuhalten, dass der Katholikentag altbacken daher kommt: Die bunte Versammlung aus Sandalenträger*innen mit Katholikentags-Schals, handgemalten Bibelzitat-Bannern und Gitarrenschrubberei wirkt sicher bizarr und das standardmäßig mitgeführte Outdoor-Equipment des Durchschnittsbesuchers ist im städtischen Alltag in etwa so fremd wie der Tiger im Aquarium. Ich verstehe befremdete Blicke aus der Stuttgarter Stadtbevölkerung auf den Katholikentag also durchaus.
Auch an Zahlen ist nicht viel zu deuteln: Da fehlen gegenüber der Kalkulation Zehntausende, die sich weder hinzurechnen noch durch Corona- oder sonstige Argumente externen Ursprungs entschuldigen lassen. Nein, die schlechten Besucherzahlen sind der Tatsache geschuldet, dass katholische Kirche existenziell infrage gestellt ist angesichts der selbstverschuldeten Krise, in der sie gerade bis zum Hals steckt.
Wie soll sich die katholische Kirche eigentlich verhalten?
Womit wir bei der Gretchenfrage wären, wie sich eine Institution wie katholische Kirche angesichts der Krise eigentlich verhalten sollte. Wäre es besser, still abzuwarten? Sich mit Bestreitungsrhetorik in den Ring zu werfen? Ich meine:
Der Katholikentag war sicher nicht die schlechteste Art, mit Krise umzugehen.
Zunächst einmal bleibt – auch das sind nüchterne Zahlen – festzuhalten: Trotz Krise, gerade in der Krise, finden sich Tausende freiwillige Helferinnen und Helfer. Das sind die, die der Kirche nicht den Rücken kehren, sondern ohne viele Worte sehr konkret anpacken, damit ein viertägiges Fest des Glaubens gefeiert werden kann. Ich habe kein einziges unfreundliches Gesicht gesehen, sondern viel Freude und Enthusiasmus, mit Stolz getragenen Helfer-Shirts und
-Halstücher (… okay, die Sache mit der Ästhetik müssen wir wirklich nochmal angehen …), unglaubliche Solidarität, eine bis ins Detail durchgeplante Logistik (Danke an dieser Stelle an die netten Menschen im Gepäckaufbewahrungszelt!) und Szenen des „Leben-Teilens“, die dem sperrigen Motto Hand und Fuß gaben.
Es gibt sie, die zähe – und zwischenzeitlich kirchenpolitisch wirklich leidgeprüfte – Basis, die ganz ohne Glanz und Gloria einfach macht, was Grundwert unseres Glaubens ist: Anpacken zum Wohl der Anderen. Das zu sehen, es tausendfach zu sehen, ist schlicht überzeugend. Und da sind wir noch gar nicht bei inhaltlicher Ausrichtung von Podien und Workshops.
Wir sind aber schon bei der Frage der Ästhetik, die ein Indikator für die deutliche Milieuverengung ist, von der katholische Kirche seit Jahrzehnten spricht, die sie aber bislang nicht aufzubrechen in der Lage war. Darin steckt ein Auftrag – nämlich der, die Erkenntnis endlich zielgerichtet in Handlung zu überführen – aber auch die Feststellung: „Unser“ Milieu – das der Sandalenträger*innen mit Schal, Trekkingrucksack und Wollsocken – ist eines, von dem Gesellschaft als Ganze durchaus profitiert. Neben der Ästhetik gehört in die Milieubeschreibung nämlich auch in hohem Maße ökologische Verantwortung, ein deutliches Eintreten für Frieden und Demokratie, ein ausgeprägtes Solidaritätsempfinden, ein starker Wunsch nach Beteiligung und ein entsprechendes Engagement. Davon zeugen diverse Stände von Institutionen, Vereinen, Verbänden und Initiativen, die sich aus dem Glauben heraus für eine bessere Welt einsetzen. Milieuverengung könnte nun wirklich schlimmer aussehen.
Wir brauchen Debatten und Diskurse
Traditionell kennt der Katholikentag neben den Ständemeilen die Podien und Workshops. Auch die erscheinen mir angesichts von Krise doch sehr zielführend zu sein: Wir müssen über so vieles reden. Intern, in kleinen Kreisen, damit Meinungsbildung stattfindet. Und extern, mit anderen, um uns Rat zu holen, wie die Krise zu meistern ist und umgekehrt, um unsere Expertise als Kirche in die gesellschaftlichen Diskurse einzuspeisen.
Gerade weil wir in Krisenzeiten leben – und das betrifft längst nicht nur Kirche – braucht es Debatte und Diskurs in großem, offenem Stil.
Jeder Katholikentags-Abend endete mit Konzerten und Gebeten, mit Kabarett und Straßenkunst. Wenn es einen Ausdruck braucht für das, was wir theologisch „Erlösung“ nennen – dann war es das. Nach zwei Jahren Pandemie zusammen mit vielen im Park Musik genießen, in den Sternenhimmel schauen, ein Bier in der Hand (… oder eine Bio-Limo …), laut zusammen lachen, applaudieren. Und das nicht nur für uns, den trekkingsandalenbewährten „inner circle“, sondern zusammen mit einer Stadt, der im Halbdunkel auch die spezielle Ästhetik egal war und die sich freute über die Sommerabendstimmung, von der Glaubende sicher haben sagen können, dass Gottes Gegenwart zu spüren war. Ich jedenfalls habe im Konzert von 2Flügel Tränen gelacht. Ein bisschen haben wir alle damit auch der Krise ins Gesicht gelacht: Trotzig und hoffnungsfroh. Und wir haben als Kirche etwas verschenkt: Momente der Gemeinschaft und der Begegnung, die wir alle – glaubend oder nicht – schmerzlich vermisst haben. Das sollten wir noch viel öfter tun.
Was mir der Katholikentag gebracht hat
Ich will nicht sagen, dass es eine rundum gute Veranstaltung war. Auch nicht, dass sie nicht der Überarbeitung bedarf und gerne ökumenischer, offener, moderner werden kann. Ich glaube aber, dass die einzelnen Bestandteile ihre Berechtigung haben: Wir brauchen Orte der Selbstvergewisserung und des Netzwerkens für den „inner circle“. Wir brauchen auch Orte des Austauschs und der gesellschaftlichen Debatte. Ob wir sie in traditioneller Katholikentags-Manier zusammen brauchen und ohne Aufsplittung nach Zielgruppen – das frage ich doch deutlich an.
Und dennoch steckte in diesem ach so traditionellen Katholikentag eine Weite, die ich als Schatz mit nach Hause genommen habe:
Was mir tief im Gedächtnis bleiben wird, das ist die Erfahrung der Mehrheit, die für Reformen spricht.
Kein Podium, keine Begegnung, kein Gespräch, kaum eine Initiative, die nicht für Aufarbeitung, für Geschlechtergerechtigkeit, für einen Abbau von Machtstrukturen plädierte. Was vor einigen Jahren noch das Unsagbare war, ist längst das offen Geforderte. Das WIR in katholischer Kirche ist das WIR derer, die Veränderungen nicht mehr nur erhoffen, sondern die gewillt sind, sie zu erstreiten und durchzusetzen. Auch das hat der Katholikentag gezeigt. Auch das war nötig und gut.