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Sinn  

Gott – das passende Lösungsmittel für jeden?

Was Chemie und Gott miteinander zu tun haben

„Gleiches löst sich in Gleichem, Ähnliches in Ähnlichem…“  lautet ein Grundprinzip in der Chemie seit Jahrhunderten. Wenn passende Einzelstoffe miteinander reagieren, kann etwas Neues und Faszinierendes entstehen. Feste Stoffe müssen dafür in der Regel gelöst werden. Sonst bleiben sie nebeneinander liegen.

 Ein Lösungsmittel als Bild für Gott?

Es ist verlockend, dieses Grundprinzip der Chemie „Gleiches löst sich in Gleichem“ als Metapher für unsere Beziehung zu Gott zu betrachten. Mein Ansatz ist dabei unsere Gottesebenbildlichkeit.

Stoffe lösen sich sehr gut in Lösungsmitteln, die ihnen vom chemischen Aufbau und der Polarität ähnlich sind. Beim Prozess des Lösens tritt der Stoff mit dem Lösungsmittel in Wechselwirkung. Man unterscheidet zwischen polaren Lösungsmitteln wie Wasser und unpolaren Lösungsmitteln wie Öl. Je unähnlicher Struktur und Polarität der Stoffe zueinander sind, desto weniger lösen sich Stoffe ineinander. Denken Sie an ein Salatdressing, bei dem sich Essig und Öl kaum zu einer homogenen Sauce verarbeiten lassen, wohingegen sich Wasser und Wein gut zu einer Schorle mischen.

Im Blick auf Gott könnte man analog sagen: Er ist das passende Lösungsmittel für jede*n.

Er kommuniziert so mit dem Menschen, dass jede*r Ihn verstehen kann. Ich denke, für Gott gibt es keine wertende Unterscheidung zwischen Polarität und Unpolarität. In Ihm sind scheinbare Gegensätze, unterschiedliche Polaritäten, vereint.

Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.

1.Kor.12,4

Gott, in dessen Gegenwart hinein ich mich lösen darf

Gott arbeitet unablässig dafür, sich uns verständlich zu machen, in Austausch mit uns zu treten. Mit chemischen Begriffen ausgedrückt: Wwenn jemand eine „unpolare“ Struktur aufweist, dann findet er Gott in Form eines unpolaren Lösungsmittels vor; zeigt jemand eine eher „polare“ Struktur, dann wird sich ihm Gott als polares Lösungsmittel offenbaren.

Das Hineinwachsen des Menschen in Gott, oder anders ausgedrückt: die Umwandlung in Christus, ist abhängig von dem sich miteinander Verständigen und damit von der Gemeinsamkeit, der ähnlichen Struktur. Diese Grundidee klingt bei Ignatius von Loyola bei der Unterscheidung der Geister an (EB 335,4):

Die Ursache dafür ist, dass die Einstellung der Seele den genannten Engeln entgegengesetzt oder aber gleichartig ist.

Ignatius von Loyola (EB 335,4)

Friedrich Dörr hat dies 1971 in einem Lied wunderbar auf die Beziehung zwischen Christus und uns Menschen angewendet: „…wie Wein und Wasser sich verbinden, so gehen wir in Christus ein…“

Je mehr wir in der Beziehung zu Gott Seinem Wesen ahnend auf die Spur kommen, desto mehr kommen wir auch unserer eigenen „Struktur“ und unserer eigenen „Polarität“ auf die Spur. In diesem Prozess werden wir empfänglicher für Gottes Weg mit uns und sensibler und offener für die Reaktionen mit Anderen und Anderem, um Neues zu schaffen. Ich meine, dass wir aufgrund der zu uns passenden oder nicht-passenden Art der Umgebung schnell merken, was unsere eigene Kreativität belebt und was ihr schadet.

Experimentelle Erfahrung

Unser Alltag lebt vom Glauben – und Chemie lebt vom Experiment. Eines meiner Lieblingsexperimente ist einfach in der Handhabung und auch bei mehrfacher Durchführung nie identisch. Deshalb als Anregung und zur tieferen Auseinandersetzung mit diesem Thema ein „hands-on“:

Material: 1 Wasserglas, Wasser, Speiseöl, Tinte (Tintenfass oder Tintenpatrone)

  • das Wasserglas mit ca. 2 cm Speiseöl füllen
  • ca. 5 cm Wasser darauf geben
  • wahrnehmen und beobachten bis keine Bewegung mehr sichtbar ist
  • in die Mitte der Flüssigkeit 2–3 Tintentropfen geben
  • mit Geduld wahrnehmen und beobachten (die für diesen Schritt nötige Zeitspanne kann zwischen Sekunden und bis zu Stunden variieren!)
  • das Glas nach Möglichkeit bis zum nächsten Tag stehen lassen und schauen, was sich verändert hat

Foto: © coldsnowstorm/iStock.com

Gott in den MINT-Fächern

Dieser Artikel gehört zu einer Artikelserie, die sich mit der Frage nach Gott in der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik befassen.

Bereits erschienen sind: 

Gott Astronomie Weltall

Gott in allen Dingen suchen

von Hilde Domgörgen

Gott Theologie Sprache

Gott neu sagen

von Peter Hundertmark

Gott Mathematik Unendlichkeit

Gott ist ganz schön mathematisch

von Matthias Rugel SJ


Margit Maar-Stumm

ist promovierte Chemikerin und Geistliche Begleiterin, langjährige Dozentin an der Hochschule Kaiserslautern, Referentin für Vorträge und Seminare in experimenteller Chemie mit Gruppen in der Altersspanne von vier bis 80 Jahren, Workshops zum Thema „Chemie und Spiritualität“. Die Komplementarität sowie die Analogien zwischen Naturwissenschaft und Glaube inspirieren sie mit wachsender Begeisterung zu einer Kombination  von Chemie und Spiritualität.

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