Sind Comics mehr als nur harmlose Unterhaltung?
Können Comics ins Denken führen? Können sie mehr als kurzweilige Unterhaltung bieten? Ein klassisches Beispiel für die denkanregende Kraft mancher Comics sind die von Charles M. Schulz geschaffenen „Peanuts“: Schulz „created a space for thinking“, so die Autorin Nicole Rudick im Magazin „The New Yorker“. Vor allem versteht es Schulz meisterhaft, einen Raum des Fragens zu eröffnen, ohne diese zu beantworten: Fragen, die den Menschen als Menschen bewegen – existenzielle Fragen und nicht selten auch die Frage nach Gott.
Die „Peanuts“ sind eine der erfolgreichsten Comic-Serien der Welt. Charlie Brown, die anderen Kinder und sein Hund Snoopy haben sich ins kulturell-kollektive Bildergedächtnis mehrerer Generationen eingeschrieben. 17.897 Strips hat ihr Schöpfer Charles M. Schulz zwischen 1950 und 2000 gezeichnet. In ihrer Hoch-Zeit sind sie in rund 2.600 Zeitungen in 75 Ländern erschienen, ergänzt durch Zeichentrickfilme wie das bis heute beliebte Weihnachtsspecial von 1965.
Geschichten, die ins Nachdenken führen
Zwar weist Schulz selbst bescheiden den Anspruch zurück, dass es sich um große Kunst handele, und die „Peanuts“ sind in aller Regel sehr kurzweilig und nicht selten – keineswegs immer – auch lustig. Und doch bieten sie weit mehr als harmlose Unterhaltung. Mit sparsam eingesetzten und umso wirksameren Mitteln erzielt Schultz eine ins Nachdenken führende Wirkung. Vor allem in den Strips ist „weniger“ tatsächlich „mehr“: Die kurzen Geschichten bestehen aus ein paar Bildern, sind mit wenigen Strichen gezeichnet, lakonisch und auf den Punkt erzählt.
Zum letzten Bild erfolgt nicht selten eine überraschende Wendung, die Fragen aufwirft und offenlässt – Fragen, die uns oft insgeheim vertraut sind, weil sie Menschen als Menschen betreffen, berühren, bewegen und manchmal auch bedrängen.
Diese Fragen aufwerfende Kraft entfaltet sich in den Strips in besonderer Weise. Meines Erachtens sind jedoch zumindest manche der Filme nicht zu unterschätzen. Das gilt auch für die musikalische Untermalung etlicher Filme durch den Jazz-Pianisten Vince Guaraldi. Es ist eine für Zeichentrickproduktionen ungewöhnliche Musik, die Respekt für das (auch) kindliche Publikum bekundet: Zwar unterhaltsam und angenehm zu hören, zugleich aber eigenwillig und durchaus anspruchsvoll – was für die „Peanuts“ generell gilt.
Die „Poesie“ der „Peanuts“
Umberto Eco lobt die anrührende „Poesie“ der „Peanuts“: Diese bestehe darin, dass wir die Probleme und auch das Leiden und unsere daraus erwachsenen Fragen in Charlie Brown und den anderen Kindern wiederfinden, die sich mit ihnen auf eine kindliche Weise auseinandersetzen. Kindlich heißt jedoch gerade nicht naiv und unbedarft. Das Kindliche in den Gesprächen der „Peanuts“ zeigt sich vor allem in der ernsthaften und aufrichtigen Weise der Auseinandersetzung.
Insbesondere Linus van Pelt, Freund von Charlie Brown und „Home Intellectual“ der „Peanuts“, verkörpert diese Aufrichtigkeit im Fragen und Denken. Nichts lag Schulz nämlich ferner als eine geringschätzende Verniedlichung von Kindern. Auch deshalb war er gegen den Titel „Peanuts“, der eher niedlich-unterhaltsame Belanglosigkeiten erwarten lässt. Seinen Wunschtitel „Li’l Folks“ konnte er nicht durchsetzen – dabei wäre es ein treffender Titel gewesen, geht es doch um „kleine Leute“, die über große Fragen nachdenken.
Kindheit und der Ernst des Lebens
An Stoff zum fragenden Nachdenken mangelt es Charlie Brown und den anderen Kindern nicht. Weit entfernt von einer kitschigen Romantisierung der Kindheit als einer vermeintlich gänzlich unbeschwerten Lebensphase vor dem Ernst des Lebens erzählt Schulz von Menschen, die von Kindesbeinen an herausfordernde Erfahrungen machen: Sie scheitern immer wieder, stoßen an Grenzen, erleiden Niederlagen und werden enttäuscht.
Sie streben (oft vergeblich) nach Glück, tragen unerfüllte Sehnsüchte mit sich herum und leben Obsessionen aus. Sie wollen dazugehören, gesehen und geliebt werden. Sie verheddern sich in ihren Neurosen, werden schuldig, werden mit Schmerz und Leid konfrontiert, kennen Melancholie sowie die Versuchung der Resignation und sie haben Angst. Aus diesen Erfahrungen können existenzielle Fragen erwachsen – auch die nach Gott.
Die häufige Thematisierung religiöser Fragen hat vor allem in den USA manche dazu verleitet, die „Peanuts“ zu Zwecken christlicher Verkündigung einzusetzen. So etwa in „The Gospel According to Peanuts“, einem 1965 erschienenen und ungemein erfolgreichen Buch von Robert L. Short, der mit Hilfe der Peanuts zum Beispiel eine sehr spezifische Erbsündenlehre zu untermauern sucht. Die Stärke des mit seinem eigenen Glauben eher ringenden und theologisch sehr zurückhaltenden Schulz besteht jedoch gerade darin, Fragen nach Gott nicht zu beantworten, sondern zu stellen und offenzulassen.
„Peanuts“ und die Frage nach der Hoffnung
Eine der Fragen, zu denen die „Peanuts“ ins eigene Denken führen kann, ist die nach der Hoffnung: Was ist eigentlich Hoffnung und welche Bedeutung hat sie für das gute Leben? Und: Gibt es Kriterien, anhand derer wir eine vernünftige, gute, lebensdienliche Hoffnung von einer Hoffnung unterscheiden können, die uns auf Abwege führt und gefährlich ist? Ein paar Szenen seien ausgewählt:
Linus hofft jedes Jahr neu (und stets vergeblich) auf das Erscheinen des „großen Kürbis“ – die anderen Kinder verspotten ihn, aber ist es tatsächlich nur irrational und lächerlich?
Lucy ist in Schroeder verliebt und erwartet sich sehnsüchtig eine Valentinskarte von ihm. Auf seine Frage, was ihre Gründe für diese Erwartung seien, da er sich doch offensichtlich abweisend verhält, sagt sie nur: „Hoffnung!“. Wie aber ist diese Hoffnung begründet – oder braucht Hoffnung keine Gründe?
Immer wieder kommt Charlie Brown schmerzhaft zu Fall, weil er den von Lucy hingehaltenen Football treten soll, diese den Ball aber im letzten Moment stets zurückzieht. Kann es sinnvoll sein, die Hoffnung auf einen Menschen und auf eine mögliche Verhaltensänderung niemals aufzugeben?
Als eine Schulfreundin an Krebs erkrankt, wird Linus von Traurigkeit, Zorn und Ratlosigkeit geplagt. Ob sie wieder gesund wird, ist eine ganze Weile höchst unsicher – welche Rolle spielt hier die Hoffnung, auch im Umgang mit den genannten Emotionen?
Linus kann nicht ohne seine Kuscheldecke, die ihm Sicherheit gibt und ein Gefühl der Hoffnung, dass es nicht immer zum Schlimmsten kommen muss und dass er auch dann, wenn es schlimm wird, nicht allein ist. Er sagt: „The only thing that keeps me going is this blanket”. Mal abgesehen von der Frage, ob ein „Ersatzobjekt“ (Ersatz für was?) Hoffnung vermitteln kann – ist es vielleicht das, was Hoffnung leisten kann: uns „am Laufen zu halten“, auch dann, wenn das Leben mal wieder nicht so läuft, wenn wir verängstigt und unsicher sind? Und beim Lesen stellt sich unwillkürlich die Frage: Was hält mich am Laufen auf meinem Lebensweg?
Veranstaltungsempfehlung
Um die Frage, was uns „am Laufen hält“ und welche Rolle dabei die Hoffnung spielt, geht es auch in der Veranstaltung “What keeps us going?” am 14. Mai 2024 von 19 Uhr bis 20:30 Uhr im Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen mit Dr. Thomas Steinforth als Referent.
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