Achtsamkeit Beziehung

Zusammenleben  

Achtsamkeit – der unterschätzte Beziehungsmotor

Wie bewusst erlebte Momente den Alltag retten und Konflikte entschärfen können

Einen liebevollen Blick füreinander lebendig zu erhalten, ist manchmal gar nicht so einfach, denn die Realität offenbart: Wer sich für Beziehung entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch für Probleme und Konflikte, denn zwei einzigartige, unterschiedliche Individuen wagen das gemeinsame Abenteuer der Liebe und des Wandels. Astrid Schrankl zeigt, wie man eine Beziehung zum Gelingen bringen kann.

Unser Leben ist wie ein Fluss, es ist stets in Bewegung und fließt augenscheinlich mal schneller und mal langsamer. Manchmal sind wir herausgefordert „Geröll“ zu überwinden, und dann gibt es glücklicherweise wieder Zeiten, in denen es „gut läuft“. Jeder Augenblick ist einzigartig und eingebettet in die Veränderungen der Zeit – so auch die anfängliche Verliebtheit, die im schönsten Fall in tiefe Liebe und gemeinsames Wachstum mündet.

Was benötigen wir hierfür als Paar auf unserer Reise?

Wie ist das jedoch möglich? Ein kostbares Reiseutensil ist die liebevolle Achtsamkeit. Der Begriff liebevolle Achtsamkeit stammt von Ajahn Brahm, einem buddhistischen Mönch, und bedeutet, bewusst im gegenwärtigen Augenblick zu sein, sich der Situation im Hier und Jetzt akzeptierend gewahr zu werden, in Verbindung mit Mitgefühl und einer liebevollen Haltung zu sich selbst wie auch zum Gegenüber.

Schauen wir auf ein Beispiel: Die Frau kommt beispielsweise erschöpft nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause, und ihr Mann hat bereits den Tisch für das Abendbrot gedeckt, mit ihrem leckeren Lieblingskäse und einem genussvollen Gläschen Wein. Sie hält inne, nimmt bewusst die schöne Überraschung wahr und spürt, wie sich Freude und Dankbarkeit in ihrem Herzen ausbreiten. Sie umarmt ihren Mann liebevoll und bedankt sich für diesen wohltuenden Empfang. Ihre Freude wird zu seiner Freude und das Abendbrot verzaubert sich zu einem kostbaren Augenblick. Auf die liebevollen Momente in der Partnerschaft zu achten und sie bewusst herbeizuführen, vertieft die Liebe, weil wir uns gesehen und wahrgenommen fühlen.

Achtsamer Umgang mit mir selbst

Um uns liebevolle Achtsamkeit zu schenken, ist es wichtig, vor allem mit sich selbst achtsam umzugehen und sich für das Hier und Jetzt zu sensibilisieren. Dieses Gewahrsein praktiziere ich, wenn ich mir beispielsweise im Alltag kleine Pausen gönne und nachspüre, wie ich mich fühle. Erlebe ich im Körper vielleicht eine Anspannung oder Unruhe, ist es hilfreich, diesen Körpersignalen meine Aufmerksamkeit zu schenken. In einem solchen Moment kann ich mich beispielsweise an das geöffnete Fenster stellen und bewusst drei bis vier tiefe Atemzüge nehmen. Besonders entspannend ist, ein bisschen länger auszuatmen als einzuatmen. Oder ich mache in der Mittagspause einen kleinen Spaziergang und genieße die Sonnenstrahlen auf meiner Haut und das Zwitschern der Vögel. Auf diese Art und Weise erlebe ich das Hier und Jetzt, das, was in diesem Moment Realität ist. Tauchen Gedanken an das Vorher (zu spät ins Meeting gekommen)  oder Nachher (Gespräch mit dem Chef) auf, ist es wichtig, diesen nicht automatisch zu folgen, denn sonst verpufft der kostbare Moment.

Gedanken kommen und gehen, das ist ganz natürlich. Sobald ich mir jedoch ihrer bewusst bin, kann ich mir innerlich sagen „ich denke“ und mein Bewusstsein wieder sanft auf den jetzigen Augenblick lenken, um mir der wärmenden Sonnenstrahlen erneut gewahr zu werden.

Die Gegenwart ist der einzige Moment, in dem das Leben stattfindet.

Thich Nhat Hanh

Sich in liebevoller Achtsamkeit zu schulen und diese in die Partnerschaft mit einfließen zu lassen, vitalisiert unser Zusammensein und erleichtert darüber hinaus im Konfliktfall wünschenswerte Veränderungen.

Was die Partnerschaft lebendig hält

Betrachten wir noch einmal das eingangs aufgeführte Abendbrot-Beispiel: Angenommen, die Frau hätte das lecker zubereitete Abendbrot vor lauter Erschöpfung nicht wirklich wahrgenommen und wäre schweigend am Abendbrottisch gesessen, wäre ihr Partner vermutlich sehr enttäuscht gewesen. Wenn er seiner Enttäuschung ungehindert Ausdruck verliehen hätte, würde sie sich vermutlich angegriffen fühlen und mit Vorwürfen reagieren. Im weiteren Verlauf des Abends würde der Haussegen wohl „schief hängen“.

Ganz anders würde die Situation vermutlich verlaufen, wenn der Mann, gleichwohl er enttäuscht ist, sich entscheiden würde abzuwarten, um seiner Frau in einer ruhigen Minute zu sagen, wie er die Situation erlebt hat. Er würde damit eine viel bessere Voraussetzung dafür schaffen, dass sie sich auf ihn einlassen könnte und vermutlich in Zukunft eher Sorge dafür tragen würde, achtsamer zu sein.

Liebevolle Achtsamkeit zu pflegen und sich immer wieder mit dem gegenwärtigen Moment zu verbinden, hält die Partnerschaft lebendig und lässt uns neugieriger werden auf den nächsten Augenblick.


Astrid Schrankl

arbeitet als Diplom-Psychologin, Systemische Therapeutin (DGFS), Systemaufstellerin (DGfS) und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin (BAG) mit Einzelpersonen, Paaren, Familien an der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Mannheim sowie in eigener psychologischer Praxis in Neustadt /Wstr. Ferner leitet sie Systemaufstellungen.

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